NEUE WESTFÄLISCHE ZEITUNG 01.12.2008

Selbsternannter Weltverbesserer

Hubert Burghardt überzeugt im Amalthea

Paderborn. Ein über weite Strecken exzellentes Gastspiel
vollzog sich am Samstag vor den Reihen des Amalthea, als
Hubert Burghardt seine Entertainment-Fähigkeiten auf die
Bretter brachte und seine ganz persönliche Sicht des Polit-
und Gesellschaftstheaters offen legte.
Jede Menge Ungereimtheiten im individuellen wie sozial-
und wirtschaftspolitischen Gefüge machte Burghardt während
seines Auftritts aus, fischte die Haare aus der Suppe der
republikanischen Chaosküche, die nach der Inspektion in anderem
Licht erschien, ihren äußeren Glanz zugunsten eines matten
Schmierfilms eingebüßt hatte.
Schnell und schonungslos zog Burghardt den Deckel vom mit
Ignoranz und Egoismus gefüllten Kochtopf des Vorteilsdenkers
Mensch, fühlte der schmackhaft verpackten, aber banalen
Verschleierungstaktik des teutonischen „Mysterien-Konglomerats“
so lange auf den Zahn, bis es weh tat.
Blendend geschriebene und veräußerte Spielszenen hatte der
selbsternannte Weltverbesserer im Gepäck, brach eine Lanze für
die reinigende Wirkung der Anarchie, der Burghardt genauso das
Wort redete wie der offensiven Problemlösung.
Ohne Berührungsängste ging es modernen Errungenschaften ans Leder,
wusste Burghardt doch nur zu genau um deren Kehrseite. Da,
wo die Globalisierung die Menschen ermutigt, „aus jedem
Dreck eine Mode zu machen“, bewies sich der Dortmunder
als rigoroser Modemuffel, dort, wo der Pflegenotstand seine
morbiden Schatten voraus warf, empfahl Burghardt das „Sterben
als Ideallösung, denn das ist immer noch am billigsten“.
Sprachlich und musikalisch von ebenbürtiger Qualität, verlieh
der Westfale Heimat- und Weltstücken kongeniale Leichtigkeit,
sprang ohne Fahrschein, aber mit viel Entschlossenheit
auf den Castor-Transport, der nach Abzug aller Nebenkosten
immer noch „eine Hardcore-Loveparade für Ökos“ ist.
Dann schon lieber alternative Fortbewegungsmittel nutzen,
langsame und wertkonservative Dinge zurück in den Fokus holen.
Ein Hoch dem Anachronismus, eine Salve dem Retro- und
Technikverzicht, braucht Burghardt seinen iPod doch höchstens
„als Halterung fürs Frühstücksei“.

Dietmar Gröbing


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